Die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Sprache und Recht auf allen Ebenen, von der politisch-historischen Ebene des Sprachenrechts über die einzel- und mehrsprachige Terminologie (Cornu 1990, Sandrini 1996) sowie die textsortenspezifische Ebene der kontrastiven Linguistik (Engberg 1997) und der Übersetzung (Šarčević 1997) bis hin zu rechtstheoretischen Überlegungen (Müller 1989), erfreut sich großer Beliebtheit und zahlreicher Publikationen in den letzten beiden Jahrzehnten. Durch Globalisierung sowie vor allem durch die Erweiterung der Europäischen Union um immer mehr Sprachen bleibt dieses Thema hochaktuell und verdient sicherlich eine Erweiterung und Vertiefung.
Neben Gotti/Šarčević (2007) geht dieser Band als weitere Publikation (insgesamt 12 in der Reihe Linguistic Insights veröffentlichte Bände) aus dem 2005 im italienischen Bergamo stattgefundenen Kongress "New Trends in Specialized Discourse" hervor, erweitert und ergänzt durch zusätzliche Beiträge. Der Titel steckt den inhaltlichen Rahmen ab, die Kommunikation im Recht. Die zehn Beiträge des Bandes decken einen weiten Bereich ab, der von eher grundlegenden Überlegungen der Rechtslinguistik über fachlexikographisch-phraseologische und fachsprachdidaktische Erwägungen bis zu hin zu Fragen der Didaktik für den Bereich Rechtsübersetzen reichen.
Der erste Autor Markus Nussbaumer ist den mit diesem Fachgebiet Vertrauten kein Unbekannter, da er auf zahlreiche Veröffentlichungen verweisen kann. Sein Thema ist die Verständlichkeit von Gesetzestexten und ihre Optimierung im Gesetzgebungsprozess. Ausgehend von einer Klärung der vielfachen Funktion eines Gesetzestextes, beginnend bei der Verfassung des Textes während des Gesetzgebungsprozesses bis hin zu ihrer Funktion als Entscheidungsgrundlage bei Rechtskonflikten oder der Informationsfunktion bei handlungsanleitenden Texten, identifiziert der Autor drei Gruppen von Faktoren, die für ein reibungsloses Verstehen von Bedeutung sind und die natürlich auch durch entsprechende Maßnahmen optimiert werden können: Im abschließenden Teil seines Beitrags betont Nussbaumer die klärende Wirkung einer verantwortungsvollen Übersetzung, die durch Nachfragen und besseres Formulieren im Zieltext unklare Stellen im Gesetzestext verständlicher machen kann und in einem mehrsprachigen Gesetzestext zumindest eine Version die unmissverständliche Auslegung zulässt.
Karin Luttermann beschreibt die Situation der Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union politisch und historisch und geht anschließend spezifisch auf die Situation am Europäischen Gerichtshof ein. Luttermann erkennt einen Reformbedarf und stellt das Referenzsprachenmodell vor, wonach ausschließlich aus zwei Referenzsprachen übersetzt wird, die Luttermann nach dem Prinzip der höchsten Sprecherzahl im Englischen und im Deutschen identifiziert.
Die kontrastive Untersuchung der sprachlichen und kulturellen Differenzen von juristischen Fachtexten, hier im besonderen Rechtsverordnungen, ist Thema des folgenden Kapitels. Weil bereits die Abgrenzung der Rechtsverordnung vom Gesetz in vielen Rechtsordnungen durchaus unterschiedliche und vielfältige Nuancierungen aufweist, betont Spillner die Notwendigkeit „eines von beiden Vergleichsgegenständen unabhängigen, metasprachlich formulierten 'tertium comparationis'. Dies sei im Recht eine semantisch-kommunikative Handlung, bei der die normativ Handelnden, die Rechtshandlung und die Adressaten übereinstimmen sollten. Darüber hinaus werden bei einem solchen kontrastiven Rechtstextvergleich ebenfalls das Verhältnis zu verwandten und konkurrierenden Textsorten untersucht.
Alessandra Lombardi beschreibt eine Studie zur Identifizierung usueller Wortverbindungen (Phraseologie und Wortgruppen) aus einem deutschen strafrechtlichen Korpus. Dabei wurden die Wortverbindungen kontrastiv untersucht: Einerseits wurde ihre Verwendung in einer Sammlung von Gesetzestexten und einem Korpus von Texten der Rechtslehre analysiert, andererseits wurden die so eruierten Wortverbindungen mit den in der Übersetzung verwendeten italienischen Übersetzungen verglichen. Dadurch konnte empirisch belegt werden, dass in Texten der Rechtslehre tendenziell freiere Wortverbindungen eingegangen werden, während in Gesetzestexten eine feste Verbindung vorherrscht. Das systematische Sammeln und Dokumentieren solcher Wortverbindungen im Strafrecht und ihr Gegenüberstellen deutsch – italienisch würde für jeden Übersetzer von Rechtstexten ein hervorragendes Hilfsmittel darstellen.
Doris Höhmann setzt sich in ihrem Beitrag mit dem Modalverb sollen und seiner fachsprachlichen Verwendung im Recht auseinander. Nach einem Aufarbeiten der rechtstheoretischen Grundlagen des Sollens geht die Autorin auf damit zusammenhängende Interpretationsfragen und fachsprachliche Wortbildungen ein.
Der einzige englischsprachige Beitrag dieses Buches unternimmt eine korpusbasierte Untersuchung zur Verwendung von Berichtsverben ('reporting verbs') in Urteilen. Aus drei Textkorpora, Urteilen des Europäischen Gerichtshofes, des britischen House of Lords und des irischen Supreme Court, erarbeitet Davide Mazzi Ergebnisse, die er komparativ gegenübergestellt und damit Unterschiede zu Tage fördert, die einerseits auf die unterschiedlichen Rechtssysteme zurück zu führen sind, andererseits aber auch eine Differenzierung der in den Texten auftretenden Polyphonie erlauben.
Engberg/Janich versuchen den Begriff der fachkommunikativen Sprachkompetenz näher zu beschreiben. Die Autoren beklagen zunächst die einseitige Fokussierung der Fachkommunikationsforschung auf sprachliche Merkmale und fachkommunikative Normen. Gefordert wird daher eine Perspektivenergänzung durch eine stärkere Berücksichtigung der im Fach Handelnden sowie der kognitiven Mechanismen, die zur fachkommunikativen Sprachkompetenz führen. Dazu beschreiben die beiden Autoren auf handlungstheoretischer Grundlage die Teilkompetenzen fachsprachlich Handelnder und nennen als zentrale Kompetenzen die Kontextualisierungskompetenz, die kreative Kompetenz, die transsubjektive Kompetenz sowie die metakommunikative Kompetenz, wobei alle in einem Kompetenzmodell der Sprachkultiviertheit zusammengefasst wird. Veranschaulicht wird die These anhand eines Textbeispiels, das die Variation fachsprachlichen Handelns dokumentiert und dadurch die konstitutiven Kompetenzen deutlicher werden lässt.
Die Vermittlung der deutschen Fachsprache des Rechts als Fremdsprache beschreibt Griesshaber in seinem Beitrag, der insbesondere auf das einschlägige Lehrangebot an der Universität Münster eingeht.
Ballansat/Perrin beschreiben in ihrem Beitrag einen interdisziplinären Ansatz in der Übersetzerausbildung, der linguistische Kenntnisse mit fachlich-inhaltlichen Kenntnissen in der Rechtssprache verbindet. Anhand von Beispieltexten des Vertragsrechts weisen die beiden Autorinnen nach, dass juristische Fachkenntnisse und linguistische Grundlagen sich gegenseitig ergänzen und jeweils unterstützen und damit für die Rechtsübersetzung didaktisch erfolgreich miteinander verknüpft werden können.
Kämper untersucht im letzten Beitrag des Bandes das forensische Handlungsmuster und die kommunikativen Verhaltensweisen der im Frankfurter Auschwitz-Prozess angeklagten nationalsozialistischen KZ-Schergen. Die dabei identifizierbaren Sprachhandlungstypen nehmen Bezug auf bestimmte kulturell und wertbedingte Referenzrahmen: Leugnen, Distanzieren oder Gestehen beziehen sich auf demokratisch-rechtsstaatliche Werte, Explizieren, Normalisieren oder Fragmentieren auf nationalsozialistische Werte, wobei bei den einzelnen Personen eine Normkonkurrenz ausgemacht werden kann.
Die etwas eigenwillige Einteilung des Bandes in 5 Abschnitte, die jeweils mit Buchstaben gekennzeichnet sind (A - E), lässt sich nicht unmittelbar nachvollziehen. Das Dilemma einer Gruppenzuweisung bei einem höchst differenzierten und vielfältigen Forschungsgebiet, wie es die Rechtskommunikation ist, wird noch dazu durch die notwendige Interdisziplinarität der Forschungsansätze verstärkt, die von der Sprachwissenschaft, der Übersetzungswissenschaft bis hin zur Kommunikations- und Rechtswissenschaft reichen.
Insgesamt aber bietet der vorliegende Band neben einem Einblick in verschiedene Einzelprobleme der Rechtskommunikation eine Fülle von Informationen zur aktuellen Forschung und stellt in diesem Sinne sicherlich eine lesenswerte Erweiterung der vorliegenden Literatur dar.
Peter Sandrini
University of Innsbruck
peter.sandrini@uibk.ac.at